Ein Vorreiter, Vermittler und unermüdlicher Wegbereiter der deutsch-französischen Freundschaft ist von uns gegangen: Alfred Grosser starb am Mittwoch, den 7. Februar im Alter von 99 Jahren. Er war mit beiden Sprachen, beiden Kulturen vertraut und bahnte wie kein anderer dem Dialog neue Wege.
Er zählte zu den besten Kennern Frankreichs, Deutschlands und der deutsch-französischen Beziehungen. Für Generationen von Germanisten, Historikern, Politologen und Journalisten wurde er zum Maßstab. Der Politologe Alfred Grosser starb am 7. Februar im Alter von 99 Jahren. Sein Lebensinhalt war es, den Franzosen Deutschland, den Deutschen Frankreich zu erklären. Sein scharfer Verstand, seine immense Bildung und seine kritische Aufrichtigkeit waren eng verbunden mit seinem Drang zur Weitergabe dieses Wissens und einem mit feiner Ironie durchsetzten Humor.
Alfred Grosser wurde am 1. Februar 1925 als Sohn von Paul Grosser, einem Professor für Kinderheilkunde jüdischer Herkunft, in Frankfurt am Main (Hessen) geboren. Er emigrierte 1933 mit seiner Familie nach Frankreich. Kurz darauf verlor er seinen Vater. 1937 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft. Während des Krieges flüchtete er mit seiner Mutter und Schwester nach Saint-Raphaël, in die freie Zone.
Wegbereiter der deutsch-französischen Aussöhnung
Ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs zählte er zu den Pionieren der Annäherung, die noch lange vor der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags den Grundstein der deutsch-französischen Aussöhnung legte. „Ich war sicher, dass Hass auf ein Kollektiv nicht die angemessene Antwort auf einen kollektiven Hass sein konnte. Und dass es niemals eine pauschale Verurteilung einer Menschengruppe geben dürfe, in diesem Fall der Deutschen, egal wie monströs das Verbrechen und die Zahl der Kriminellen war“, schrieb er in seinen Memoiren mit dem Titel „Ein Leben als Franzose“ (1998). Er wurde zur wichtigsten Triebfeder des französischen Komitees für den Austausch mit dem neuen Deutschland.
1947 schloss er ein Germanistikstudium mit der Agrégation ab, wechselte jedoch bald darauf in die Politikwissenschaft. 1953 veröffentlichte er „L’Allemagne de l’Occident (1945-1952)“. Mit diesem Buch, das in Frankreich lange Zeit als eines der Standardwerke über die Bundesrepublik galt, leistete er einen wichtigen Beitrag zum Verständnis. Mitte der 1950er Jahre übernahm Alfred Grosser einen Lehrauftrag am Pariser Institut d’études politiques (IEP) und blieb dort während seiner gesamten Laufbahn. Er erhielt eine Professur und war bis 1992 ein einflussreicher Forschungsleiter. Seit 1993 trägt ein Lehrstuhl seinen Namen.
Ein unermüdlicher Vermittler
Die deutsch-französischen Beziehungen waren das zentrale Thema seines Lebens und Werks. Er war mit beiden Sprachen und Kulturen bestens vertraut und klärte Deutsche und Franzosen mit großer Fachkenntnis und viel Feingefühl über die Subtilitäten des Nachbarlands auf. Er war ein Mittler, ein Intellektueller, der über die Rhetorik und die Rituale der Aussöhnung hinaus eine scharfsichtige, kritische Analyse der Beziehungen zwischen beiden Ländern bot.
Als Mann des Dialogs und der Debatte erfüllte er die Aufgabe des unermüdlichen Vermittlers auf bewundernswerte Weise. Er bediente sich aller ihm zur Verfügung stehenden Instrumente, um zwischen Frankreich und Deutschland Brücken zu bauen. So schrieb er als Chronist für mehrere Zeitungen: Ouest France, Le Monde, später La Croix. Mit kritischer Beobachtungsgabe für die aktuelle Lage in Deutschland, Frankreich und Europa, aber auch auf der internationalen Bühne verfasste er rund vierzig Bücher. Ihnen gemeinsam ist ein prägnanter, nüchterner Grundton, nie wurde er es müde, die auf beiden Seiten des Rheins fortbestehenden Vorurteile zu bekämpfen.
Alfred Grosser wurde mit zahlreichen Auszeichnungen in Frankreich und Deutschland geehrt (Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Großkreuz der französischen Ehrenlegion, Großes Bundesverdienstkreuz usw.) und sprach dreimal als Ehrenredner im Bundestag (1974, 1999 und 2014). Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kondolierte mit folgenden Worten zum Tod Grossers: „Ich verneige mich vor einem großen, inspirierenden Menschen, Denker, Europäer. Wir in Deutschland werden ihn nicht vergessen.“
A.L.