Walter Hallstein wurde am 17. November 1901 in Mainz geboren.
Von 1930 bis 1950 lehrte er Internationales Recht sowie vergleichende Rechtswissenschaften an den Universitäten von Rostock, Berlin und Frankfurt.
Nach seiner Einziehung in die Wehrmacht im Jahr 1942 wurde er 1944 von den Amerikanern gefangen genommen. Während seiner Gefangenschaft hielt er Rechtskurse für seine Mithäftlinge ab. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.
1950-1963: Engagement für die Europapolitik
Ab 1950 ging Walter Hallstein in die Politik, nach dem Vorbild von Kanzler Konrad Adenauer (CDU). Er war vor allem als Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten tätig. In dieser Funktion formulierte er die „Hallstein-Doktrin“ als politische Leitlinie der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Drittstaaten, die die DDR diplomatisch anerkannten.
Adenauer ernannte ihn zum Leiter der Delegation der BRD bei den Verhandlungen des Schuman-Plans. Walter Hallstein spielte eine wesentliche Rolle bei der Einführung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, die sog. „Montanunion“). Zunächst wurde er Staatssekretär im Kanzleramt, ab 1951 im Auswärtigen Amt und lernte dabei Jean Monnet kennen, mit dem er die Überzeugung teilte, dass es in Europa einer grundlegenden Neugestaltung der politischen und diplomatischen Beziehungen bedurfte.
Im selben Sinne stand auch Walter Hallstein den Projekten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) als übergeordnete Instanz für die EVG und die EGKS positiv gegenüber. Trotz der Ablehnung der EVG und der EPG durch die französische Nationalversammlung im Jahr 1954 wurde er nicht müde, sich für eine europäische Politik einzusetzen. 1955 vertrat er sein Land bei der Messina-Konferenz, wo die BRD, Italien und Benelux eine Wiederankurbelung des europäischen Aufbauwerks forderten.
Ab 1956 führte er die Verhandlungen zu den Verträgen von Rom, die 1957 in der Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mündeten.
Zwischen 1958 und 1963 gelang es Walter Hallstein, einen effizienten Verwaltungsapparat einzurichten. Unter seiner Präsidentschaft wurden der Gemeinsame Markt und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) eingeführt, ein besonders von Frankreich, den Niederlanden und Italien unterstütztes Projekt. Darüber hinaus sorgte er erfolgreich dafür, die europäischen Institutionen Drittländern gegenüber bekannt zu machen und das Vertrauen zahlreicher Investoren zu gewinnen.
Der Hallstein-Plan
Am 31. März 1965 wurde ein vom Europäischen Parlament gebilligter Vorschlag Walter Hallsteins zur Finanzierung der GAP, der Schaffung eines eigenen Haushalts für die EWG und der Überholung der Institutionen durch ein Veto des französischen Staatspräsidenten de Gaulle ausgebremst.
Dieser so genannte Hallstein-Plan, ein revolutionäres Programm, das den Durchbruch des europäischen Föderalismus gegenüber dem Europa der Nationen bedeuten sollte, sah zunächst eine Umsetzung der Zollunion zum 1. Juli 1967 vor, also dreißig Monate früher als in den Verträgen von Rom vorgesehen.
Vor allem aber schlug er vor, die Befugnisse der Kommission beträchtlich auszuweiten. Der bis dahin über nationale Beiträge finanzierte Haushalt, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgehandelt wurden, sollte in Zukunft über „eigene Mittel“ verfügen (insbesondere gemeinsame Außenzolltarife und Importzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse), die von der Kommission direkt eingenommen und verwaltet werden sollten. Außerdem sollte die parlamentarische Versammlung Befugnisse im Bereich der Haushaltskontrolle erhalten, die jenen eines nationalen Parlaments gleichen sollten.
Im Einklang mit den Gründungsideen von Jean Monnet stellte das Hallstein-Projekt also ein föderales Europa in den Raum, das über eine Exekutivgewalt, die Kommission, sowie eine Legislativgewalt, das Parlament, verfügen sollte. So sollte die wirtschaftliche Integration dazu genutzt werden, ein übergeordnetes politisches Aufbauwerk voranzutreiben, in direkter Umsetzung der Römischen Verträge.
Unterstützt vom Niederländer Sicco Mansholt, glaubte Walter Hallstein den vorhersehbaren Widerstand Frankreichs durch den einstimmigen Beschluss der fünf anderen Mitgliedstaaten brechen zu können, die über das zweimalige „Nein“ des französischen Staatspräsidenten zum Beitritt des Vereinigten Königreichs zutiefst verärgert waren.
Da es der französischen Regierung nicht gelungen war, eine Entkopplung der Haushaltsordnung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ein von ihr akzeptierter Vorschlag) von den anderen Bestimmungen institutioneller Natur (die sie ablehnte) zu erreichen, beschloss sie am 1. Juli 1965, sich aus Brüssel zurückzuziehen und ihren ständigen Vertreter bei der Gemeinschaft abzuberufen.
Diese „Politik des leeren Stuhls“ legte die EWG lahm. Der „Luxemburger Kompromiss“ von 1966 setzte dieser Krise ein Ende und stattete die Gemeinschaft mit einer neuen Funktionsweise aus, bei der ein Rat eine führende Rolle übernahm und die Mitgliedstaaten ein ausdrückliches Vetorecht für Fälle, in denen ihre grundlegenden Interessen auf dem Spiel stehen, erhielten.
1957-1967: Die Europäische Kommission
1957 wurde Walter Hallstein auf gemeinsamen Vorschlag Belgiens und Frankreichs der erste Kommissionspräsident der EWG. Dank der dreimaligen Erneuerung seiner Amtszeit stand er der Kommission knapp zehn Jahre lang vor, bis die drei Europäischen Gemeinschaften (Montanunion, EWG, EURATOM) 1967 fusioniert wurden und er in seinem Amt von Jean Rey abgelöst wurde.
Walter Hallstein verließ Brüssel 1967.
Bis 1972 war er CDU-Abgeordneter beim Bundestag und setzte sein Engagement als Vorsitzender der Internationalen Europäischen Bewegung (1968-1974) fort.
Er starb 1982 in Stuttgart im Alter von 80 Jahren.